Zwei Mal im Jahr organisiert der niederländische Thonet-Händler Pot Interieur in Axel eine Meisterklasse für Architekten und Designer mit dem Ziel, eine virtuelle Begegnung zwischen modernen Gestaltern und den Helden der Designikonen zu ermöglichen. Der Möbelhändler Pot Interieur feierte seinen neuen Status als Thonet-Vertragshändler mit der Organisation von ‚Meesters bij Pot: Mart Stam‘ – einer Meisterklasse über den niederländischen Architekten und Designer Mart Stam. Stam ist für seinen Entwurf des Freischwingers und seine Rolle in der Bauhaus-Zeit bekannt. Im Zusammenhang mit dieser Meisterklasse präsentierte Karel Boonzaaijer – ein bekannter niederländischer Designer und Professor für Conceptual Design an der FH Aachen – einen Film über die Vision, Ideen und Designgeheimnisse von Mart Stam. Seine Erkenntnisse können Sie hier entdecken.
Sitzen wie auf Luft
Als Mart Stam 1927 seinen bahnbrechenden hinterbeinlosen Stuhl, der aus seinen 1925 durchgeführten Experimenten mit Gasleitungsrohren hervorgegangen war, bei der Eröffnung der Weißenhof-Siedlung Stuttgart der Öffentlichkeit vorstellte, revolutionierte er damit das moderne Möbeldesign. Stam kam es zu dieser Zeit noch nicht auf den federnden Effekt kalt gebogenen Stahlrohrs an, sondern auf die schnörkellose, sachliche Form, die sich perfekt in die modernen Gebäude dieser Zeit integrieren ließ. Der S 43, eine Variante dieses Modells, wurde 1931 vorgestellt. Er verband Geradlinigkeit in der Form und ästhetische Sparsamkeit der Konstruktion mit dem Nutzen verbesserten Sitzkomforts: Der bequeme und sitzfreundliche Schwingeffekt, der ganz auf opulente Polsterung verzichten konnte, vermittelte das Gefühl, wie auf Luft zu sitzen.
1899 in Purmerend in den Niederlanden geboren, war Mart Stam einer der bedeutendsten Architekten der Moderne und ein Pionier des modernen Möbeldesigns. Er setzte bei all seinen Möbelentwürfen auf Geradlinigkeit in der Form, auf ästhetische Sparsamkeit der Konstruktion und auf den Nutzen verbesserten Sitzkomforts. Beim S 43 kombinierte er das Stahlrohr-Gestell mit Formholzschalen für Sitz und Rücken und schaffte damit eine absolute Reduktion. Durch den bequemen Schwingeffekt des Gestells kann man auf eine Polsterung verzichten. Seine klare, zurückhaltende Form macht diesen Freischwinger zu einem exemplarischen Entwurf im Geiste der Moderne. Das künstlerische Urheberrecht für diesen streng kubischen hinterbeinlosen Stuhl liegt heute bei Thonet.
Moderne der Architektur
Eine der wichtigsten Stationen in der Geschichte der Moderne in Architektur und Gestaltung ist zweifelsohne das Bauhaus. Walter Gropius hatte für diese 1919 gegründete neuartige Ausbildungsinstitution die Vereinigung von Kunst und Technik zu einer Einheit gefordert. 1926 nach Dessau umgezogen, wurde an dieser Schule so auch mit dem neuartigen Material Stahlrohr experimentiert – u.a. von Bauhaus-Lehrern wie Marcel Breuer oder Mart Stam. Diese Experimente standen im Zusammenhang mit der aufkommenden Bewegung des Neuen Bauens, die dem modernen Menschen neue Architektur und neue Einrichtungen bieten wollte. Durch das Engagement von Thonet seit Ende der 1920er Jahre erhielt das Stahlrohrkonzept eine durchschlagende Wirkung und gelangte zu wachsender Popularität.
Thonet und das Bauhaus
Mit der Krise der bürgerlichen Ideale im Ersten Weltkrieg kam verstärkt der Wunsch nach einer nüchternen, funktionalen Bauweise. Als Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“ erklärten die Architekten des Bauhauses Michael Thonets Prinzip, Form und Material auf das Wesentliche zu reduzieren, zu ihrer Leitlinie. Thonets Bugholzentwürfe aus dem 19. Jahrhundert, darunter der Kaffeehausstuhl 214 (Nr. 14), waren die ersten in Serie gefertigten Möbel und so Symbol des industriellen Standards sowie Ausdruck des modernen Geistes. Es überrascht daher nicht, dass Ende der 1920er Jahre das seinerzeit neuartige Stahlrohr bald zum beliebten Material der Bauhaus-Architekten wurde. In dieser Zeit behauptete sich Thonet ein weiteres Mal als Meister der gebogenen Formen und besiegelte seine Spitzenposition bei der Entwicklung innovativer Sitzmöbel, zu denen auch der revolutionäre „Freischwinger“ zählte.
Als einer der Ersten experimentierte der junge ungarische Gestalter und Bauhaus-Architekt Marcel Breuer bereits Mitte der 1920er Jahre mit dem neuartigen Material. Für einen Prototypen hatte er Stahlrohr der Fahrradfabrik Adler angefragt, die seinen Wunsch jedoch verweigerte. Die Firma zeigte sich befremdet von der „verrückten Idee“, dass ein Inneneinrichter von seinem neuen Adler-Fahrrad zu einer solch revolutionären Tat inspiriert wurde. Thonet erkannte früh das Potential des beeindruckenden Werkstoffs und sicherte sich über die Kontakte zum Dessauer Bauhaus die Rechte an den besten Entwürfen von Avantgardisten wie Ludwig Mies van der Rohe, Mart Stam oder Le Corbusier – und Marcel Breuer. 1928 wurde ein Vertrag zwischen Thonet und Breuer über ein eigenes Stahlrohrprogramm geschlossen, ein Jahr später erwarb Thonet Breuers Firma „Standard Möbel“ und brachte eine umfassende Stahlrohrkollektion auf den Markt. In diesen Jahren entstanden zahlreiche Entwürfe des jungen Architekten für Thonet, so u.a. die Freischwinger B 32 und B 64 – heute unter der Modellnummern S 32 und S 64 bekannt – sowie der doppelt freischwingende Clubsessel S 35, mit dem Thonet auf dem Internationalen Pariser „Salon des Artistes Décorateurs“ im Jahr 1930 für großes Aufsehen sorgte.
In der Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit setzte sich das Stahlrohr schließlich zunehmend als Material für Möbel durch – man konnte es biegen, es war elastisch und fest zugleich. Die enorme Robustheit des Materials, dessen handwerklich erstklassige Verarbeitung und das minimalistische Design der Entwürfe machen unsere Stahlrohr-Klassiker aus der Bauhaus-Ära zu extrem langlebigen Begleitern, die auch noch kommende Generationen begeistern werden. Seit ihrer Entstehung werden die Originalentwürfe der großen Ikonen von Breuer, Stam und Mies van der Rohe bei uns in Frankenberg produziert.